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PUSZTASTÜRME 1

 

Maureen O’Kelly

 

PUSZTASTÜRME

 

 

Roman

 

Copyright  2002 by Maureen O'Kelly

 

Alle Rechte der Verbreitung und Übersetzung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art sind vorbehalten

 

 

In dankbarer Erinnerung

an die vielen Augenblicke

großen Glückes,

welche ich in der Puszta

erleben durfte.


. . .
 

INHALT

Peinvolle Stunden
Unter Hirten
Sturm und Tod
Zerstörte Jugend
Tage stillen Glücks
Auf nach Ägypten
Sandsturm
Traurige Zeiten
Überraschungen
Raub der Braut
Mitleidige Herzen
Endlich vereint

......................................

 

PEINVOLLE STUNDEN

Düster und unheilvoll drohend zogen die tief hängenden, schwarzen Wolken mit Windeseile über die vom Sturm gepeitschte, weite Ebene. An manchen Stellen wurde der feine, puderige Staub, welcher den Boden bedeckte, durch kleine Windhosen angehoben und über viele Kilometer in der Umgebung verstreut. In der Ferne zuckten schon die ersten Blitze nieder und dumpfes Grollen kam immer näher. Die Herde hatte sich ängstlich zusammengedrängt und wartete voller Schrecken auf den kurz bevorstehenden Ausbruch des schlimmen Unwetters. Zwei berittene Hirten trieben schnell noch einige Nachzügler herbei, denn die Herde mußte beisammen sein, bevor das böse Wetter losbrach und eine Suche nach den versprengten Pferden für viele Stunden verhindern würde. Schon fielen die ersten schweren Tropfen prasselnd vom schwarzen Himmel herab, die Hirten zogen sich ihre schweren Filzmäntel fest um die Schultern und drückten ihre Hüte mit den breiten Krempen und den Kranichfedern fest auf die Köpfe, in Erwartung des nun bald folgenden Unwetters, da kam eine kleine, schmale Gestalt durch die immer dichter werdende Dunkelheit gerannt.

"Schau nur, Lajos, ist das dort vorne nicht deine Kata?" fragte der ältere der Hirten den jüngeren, welcher nun angestrengt in die angegebene Richtung schaute und den immer dichter fallenden Regen mit seinem geübten und vom Leben in der freien Natur geschärften Blick zu durchdringen versuchte. Endlich erkannte er das junge Mädchen.

"Ja, Miklós, du hast recht, das ist meine Tochter!" wendete er sich an seinen Kollegen, "Aber was mag sie nur bei diesem Wetter herausgetrieben haben?"

Das junge, zierliche Mädchen war inzwischen bis auf wenige Schritte an die beiden Pferdehirten herangekommen, es mußte nur noch die eng zusammengedrängten Pferdeleiber der Herde umgehen, dann stand sie endlich vor ihrem Vater.

"Kata, was ist los? Warum bleibst du bei diesem Unwetter nicht zuhause bei deiner Mutter?" tadelte der Hirte seine Tochter.

"Das ist es ja eben!" schluchzte das Mädchen und wischte sich nicht nur die ihr tropfnaß im Gesicht hängenden Haare sondern auch gleich ein paar Tränen beiseite. "Mutter wurde es plötzlich sehr schlecht, sie rang nach Atem und bat mich, den Arzt zu holen. Da es zu Fuß aber zu weit ist, so dachte ich, du könntest schnell ins Dorf reiten und den Doktor holen."

Ihr Vater war bei diesen Worten erschrocken zusammengezuckt, beherrschte sich aber sehr schnell wieder.

"Kata! Ich kann bei diesem Unwetter die Herde nicht allein dem Miklós überlassen." seufzte er traurig.

"Aber ich will versuchen, dir ein Pferd zu besorgen, damit du den Arzt dann holen kannst." Mit diesen Worten schwang er sich aus dem Sattel und machte sein Fangseil los. Da alle Pferde der Herde dicht gedrängt beieinander standen, war es ihm ein Leichtes, einem der Tiere den Lasso über den Kopf zu streifen und es ein wenig von den anderen wegzuführen. Schnell war aus dem langen Strick ein Halfter geknotet und der Vater half seiner Tochter auf den nassen Pferderücken.

"Sei vorsichtig, Kleines!" bat er sie, doch das junge Mädchen war schon hinter dem dichten Vorhang aus Regentropfen, welcher sie und ihr Reittier umgab, verschwunden. In schnellem Galopp, doch vorsichtig genug, damit das Pferd nicht auf dem nun glitschigen, seifigen Boden ausrutschte, ritt sie in Richtung auf das nächste Dorf, welches einige Kilometer entfernt war. Bald war sie am Haus des Arztes angelangt, ließ sich vom Pferd gleiten, band es an einem Zaunpfahl an und klopfte an die Haustür. Erst nach einer schier unendlich erscheinenden Zeit nahten sich im Innern des Hauses Schritte. Dann öffnete sich die schmale Tür und der Landarzt streckte seinen Kopf heraus, verwundert darüber, daß jemand bei diesem Wetter überhaupt noch unterwegs war.

"Guten Tag, Doktor Kovács!" grüßte ihn das junge Mädchen.

"Guten Tag Kata!" rief der ältere Herr verwundert. "Was führt dich bei solch einem Unwetter zu mir, mein Kind? Komm doch herein und wärme dich wenigstens ein wenig am Ofen auf." Doch das Mädchen schüttelte heftig den Kopf.

"Nein danke! Ich muß so schnell wie möglich wieder zurück, bitte kommen Sie doch mit, meiner Mutter geht es sehr schlecht. Sie hatte große Atembeschwerden, als sie mich zu Ihnen schickte und sagte, es sei sehr dringend."

"Dann ist es sicher ernst. Deine Mutter schickt dich nicht umsonst bei so einem Wetter nach dem Arzt!" meinte der Doktor, während er schnell seinen Regenumhang und die Arzttasche holte, welche beide griffbereit in der Diele lagen.

"Ich hole schnell mein Pferd, dann reiten wir zusammen los. Es wird trotz allem schon nicht so schlimm sein." versuchte er Kata aufzumuntern. Dann lief er in den Stall, sattelte in Windeseile seinen großen, braunen Wallach, schnallte die Tasche fest und schwang sich auf den Rücken seines Reittieres. Kata saß auch schon auf ihrem Pferd und so galoppierten die beiden durch das immer heftiger werdende Unwetter zu dem kleinen Häuschen, in welchem die Familie des Pferdehirten wohnte. Das weiß getünchte Haus und seine mit Rundbogen verzierten Veranda waren aus Lehmziegeln errichtet und trugen ein Dach aus dem Schilf der nahen Sumpfgebiete. Im Sommer schützte es seine Bewohner vor der manchmal fast unerträglichen Hitze, im Winter genügte der mit Holz oder getrocknetem Dung beheizte Ofen, um überall eine behagliche Wärme zu verbreiten. Kata rutschte von dem nassen Pferderücken, ergriff auch die Zügel des Pferdes des Arztes und zog beide Reittiere in den Schutz eines offenen Schuppens, in welchem auch die Heu- und Strohvorräte der Familie lagerten. Nachdem sie die Pferde festgebunden hatte, folgte sie dem Arzt, welcher schon in der Diele des Hauses stand und sich seines tropfnassen Mantels entledigte. Das junge Mädchen streifte sich seinen ebenfalls durchnäßten Umhang ab, dann führte sie den Arzt in das Zimmer, in welchem ihre Mutter auf einem weichen Bett lag und schwer um Atem rang. Der Doktor schaute sich nur kurz in dem Zimmer um, doch was er sah, beruhigte ihn. Im Gegensatz zu den Behausungen vieler anderer Hirten, welche im Laufe seiner langen Laufbahn als Landarzt kennengelernt hatte, herrschten hier Sauberkeit und Ordnung. Das viereckige Zimmer mit der niedrigen Balkendecke hatte weiß angestrichene Wände, der Fußboden war mit Holzbohlen bedeckt, auf welchen hier und da kleine, aus weicher Schafwolle in Handarbeit gefertigte Teppiche lagen und auch die Möbel zeugten von einem gewissen Wohlstand. Die obligatorische Truhe mit der Aussteuer war hübsch bemalt, es gab einen kleinen Schrank und das Bett, auf welchem sie Kranke unter warmen Daunendecken lag. An den Wänden hingen außer dem Bild der Mutter Gottes einige Gemälde mit Szenen aus dem Hirtenleben und auf dem Fensterbrett standen zwei Blumenstöcke. Eine Sturmlampe erhellte mit ihrem spärlichen Licht kaum den großen Raum, aber Kata zündete sogleich mehrere Kerzen an, damit der Arzt ihre Mutter besser untersuchen konnte.

"Guten Tag, Herr Doktor, vielen Dank, daß Sie die Mühe auf sich genommen haben, bei diesem Unwetter eine kranke Frau zu besuchen." hauchte die Kranke mit schwacher Stimme, bevor sie wieder von einem schlimmen Hustenanfall geschüttelt wurde.

"Das ist doch meine Aufgabe, dafür brauchen Sie sich nicht zu bedanken, schauen wir lieber, wie es mit Ihnen steht!" antwortete der Arzt und begann Katas Mutter zu untersuchen, während das junge Mädchen ihm mit der Lampe leuchtete. Ihre schönen Augen wurden vor Furcht immer dunkler, je länger der Arzt sich um ihre Mutter kümmerte und dabei eine immer bedenklichere Miene zeigte. Endlich hielt es Kata nicht mehr aus:

"Herr Doktor, bitte sagen Sie mir doch: wie steht es um meine Mutter?" flüsterte sie mit angstvoller Stimme. Doch der Arzt schüttelte nur den Kopf und untersuchte weiter die von immer neuen Hustenanfällen geschüttelte Frau, deren Kräfte sichtbar nachließen. Nach einer Weile, als sie erschöpft in die Kissen zurückgesunken war, beendete er seine Untersuchung und bedeutete Kata mit einem kurzen Wink, ihm in die Diele zu folgen. Nachdem er die Tür zu dem Krankenzimmer sorgfältig geschlossen hatte, wendete er sich an das vor Angst an allen Gliedern zitternde junge Mädchen.

"Kata, du mußt jetzt sehr stark sein. Deiner Mutter geht es sehr, sehr schlecht."

"Oh Gott!" hauchte diese. "Sagen Sie, Herr Doktor, sie wird es doch wohl aber überstehen – oder nicht?" fragte sie angstvoll, als sie den traurigen Ausdruck in den Zügen des Arztes wahrnahm. Dieser legte seinen Arm wie schützend um sie und schüttelte den Kopf.

"Liebes Kind, ich will dich nicht belügen, deshalb muß ich dir sagen, daß deine Mutter diese Nacht wahrscheinlich nicht überleben wird. Ihre Krankheit ist schon zu weit fortgeschritten, als daß man ihr noch helfen könnte. Aber ich werde heute nacht bei ihr bleiben, um ihr den letzten Weg ein wenig zu erleichtern. Und dir beizustehen, wenn das Ende kommt." fügte er noch hinzu, als er das leichenblasse Gesicht des jungen Mädchens sah. Erst jetzt schien ihm aufzufallen, daß Kata, bei deren Geburt er schon mit geholfen hatte, zu einem wunderschönen jungen Mädchen herangereift war. Dichtes, fast schwarzes Haar fiel ihr in Locken über den Rücken bis fast zur Taille, wenn es auch jetzt vom Regen und dem wilden Ritt in Unordnung geraten war. Ihr schmales Gesicht wurde von einem Paar großer, rehbrauner Augen mit langen, seidigen Wimpern beherrscht, über welchen sich schmale, dunkle Brauen wölbten. Eine kleine Nase und ein vielleicht etwas zu breiter Mund mit vollen, roten Lippen vervollständigten das hübsche Bild. Das junge Mädchen war hoch und schlank gewachsen und obwohl sie auf den ersten Blick fast zart erschien, hatte sie doch eine große Kraft in ihrem sportlichen Körper, welcher von der Arbeit in Haus und Hof sowie vom Reiten gestählt war. Mit ihren siebzehn Jahren war sie eine schmucke Maid und der alte Arzt fragte sich, ob sie denn schon einen Auserwählten habe. Er ahnte nicht, daß Kata sich aufgrund ihrer natürlichen Scheu und ihres stillen Lebenswandels nicht für die jungen Männer interessierte, sie blieb den dörflichen Veranstaltungen fern und beschäftigte sich lieber mit den Tieren auf dem Hof, zu welchen sie ein inniges Verhältnis hatte. Vor allem die Pferde hatten es ihr angetan und mit ihrer Liebe und dem Verständnis für diese wunderbaren Kreaturen war es ihr schon so manches Mal gelungen, ein unbändiges oder gar bösartiges Tier zu zähmen und zu einem willigen Partner des Menschen zu machen. Ihr Instinkt sagte ihr, daß es sich nicht darum handeln könne, ein Pferd zu "brechen", sondern es vielmehr mit Liebe und Verständnis dazu zu bringen, seine Leistung freiwillig dem Menschen anzubieten, als Partner, nicht als willen- und seelenlose Maschine. Zwar wurde sie von vielen belächelt und im geheimen sprachen einige von ihr als von der "Närrin Kata", doch mußten auch die größten Zweifler ihre Erfolge bei den Tieren anerkennen, wenn auch die Methoden ihnen wie von einem anderen Stern erschienen. Kata schien den Tieren in die Seele zu schauen, sie fühlte sich eins mit ihnen, respektierte und liebte sie. Und die Tiere dankten es ihr mit Anhänglichkeit und Gehorsam.

Jetzt aber war das schöne Gesicht des jungen Mädchen vor Schmerz verzerrt und Tränen schrieben ihre nassen Spuren auf die totenblassen Wangen.

"Gibt es denn gar keine Hoffnung mehr?" hauchte sie verzweifelt, der Arzt aber schüttelte nur traurig den Kopf.

"Nein, mein Kind. Wir können nur noch für ihre Seele beten."

"Dann muß ich meinen Vater und den Priester benachrichtigen!" rief Kata mit plötzlich wieder ein wenig festerer Stimme und nahm ihren regennassen Mantel von dem Haken, unter welchem sich schon eine kleine Wasserlache gebildet hatte.

"Bitte wachen Sie so lange bei meiner Mutter, ich werde mich sehr beeilen." bat sie den Doktor, dann war sie auch schon aus der Tür in den noch immer tobenden Sturm verschwunden. Ihr Pferd hatte sich inzwischen etwas erholt und sein Fell war abgetrocknet, so daß sie nun einen Sattel auflegen konnte, was ihr das Reiten vereinfachte, obwohl sie auf dem bloßen Pferderücken groß geworden war. Mit tränenblinden Augen lenkte sie ihr Reittier mehr nach dem Gefühl, doch kannte das Tier den Weg zu seiner Herde genau und so waren sie schon nach kurzer Zeit wieder bei der Herde angelangt. Ihr Vater und Miklós hielten noch immer die verängstigten Tiere zusammen, doch hatte sich die Herde nun doch schon etwas beruhigt und an den Sturm gewöhnt. Verwundert und besorgt schaute der Vater auf seine näherkommende Tochter und ein eiserner Ring der Furcht legte sich um sei Herz, als er in das Gesicht des jungen Mädchens blickte.

"Mein Gott! Kata, was ist los?"

"Mutter wird die heutige Nacht nicht überleben!" schluchzte Kata und brachte ihr Pferd neben dem ihres Vaters zum Stehen. "Der Doktor ist jetzt noch bei ihr, um ihr die letzten Stunden zu erleichtern!" berichtete sie mit vor Schmerz brechender Stimme. Ihr Vater schaute bestürzt auf sie, sein Blick verriet unendliche Trauer, als er die Hand seiner Tochter ergriff und so fest drückte, daß sie einen leisen Wehschrei nicht unterdrücken konnte.

"Kata, Kind, ich komme so schnell wie möglich und bringe auch den Priester mit!" hauchte er. "Reite du nur zurück an die Seite deiner Mutter." Damit gab er dem Pferd seiner Tochter einen leichten Peitschenschlag auf die Kruppe. Es setzte sich in Bewegung und veranlaßte Kata dazu, sich wieder um ihr Reittier zu kümmern und ihren Schmerz und ihre Trauer etwas zu unterdrücken – zumindest bis sie heil nach Hause gekommen war. Ihr Vater warf seinem Kollegen schnell ein paar Worte zu, dieser nickte nur.

"Geh nur, Lajos, dein Platz ist in dieser schweren Stunde an der Seite deiner Frau. Ich werde es schon schaffen, die Herde beisammen zu halten, sie hat sich ja nun etwas beruhigt. Wenn das Wetter vorbei ist, werde ich nach den Hütejungen schicken, damit sie deinen Platz solange einnehmen, bis du wieder zurückkommen kannst."

"Danke, Miklós!" seufzte der Vater und gab seinem Pferd die Sporen. In halsbrecherischem Tempo jagte er zuerst ins Dorf, um den Priester aus dem Bett zu holen, dann galoppierte er nach Hause, ans Lager seiner Frau. Dort fand er Kata und den Doktor neben dem Bett der Kranken, der Sterbenden und auch der Priester ließ nicht mehr lange auf sich warten. So vergingen viele Stunden angstvollen Wartens, von Zeit zu Zeit wachte die Mutter auf, wurde von immer heftigeren und länger andauernden Hustenanfällen geschüttelt, bei denen sich ihr vor den Mund gehaltenes Taschentuch rot färbte vom Blut ihrer Lungen, bevor sie wieder in ihren komaähnlichen Zustand zurückfiel. Es war lange nach Mitternacht, der Sturm hatte sich fast ganz gelegt und auch der sintflutartige Regen war schwächer geworden, als die Kranke plötzlich die Augen aufschlug und mit klarem Blick auf die an ihrem Bett Versammelten schaute. Als sie den Arzt und den Priester sah, wußte sie sofort, daß ihr nicht mehr sehr viel Zeit beschieden war. Deshalb sammelte sie all ihre Kraft und bat die Anwesenden, bis auf Kata, das Zimmer zu verlassen, sie habe eine wichtige Botschaft an ihre Tochter zu richten und da ihr nicht mehr viel Zeit verbliebe, wolle sie vor ihrem Tode diese noch an ihre Tochter weitergeben. Als sich die Tür hinter den erstaunten und bewegten Männern schloß, bat sie ihre Tochter, sich dicht zu ihr zu beugen, damit sie sich beim Sprechen nicht so anstrengen müsse. Kata setzte sich also neben den Kopf ihrer Mutter, streichelte ihr über das noch immer schöne, dichte Haar und fragte mit Tränen in den Augen:

"Mutter, was habt ihr mir denn so Wichtiges zu sagen, was die anderen nicht hören dürfen?" fragte sie.

 Meine geliebte Tochter, ich muß dir etwas sehr Wichtiges sagen, bevor ich sterbe, selbst wenn du es mir zuerst nicht glauben wirst." hauchte die Mutter mit leichenblassem Gesicht, auf welchem schon der Tod seine Linien zeichnete. Kata ergriff die knochige Hand ihrer Mutter und drückte sie zärtlich:

"Ich glaube euch alles, was ihr sagt, Mutter!"

"Dann höre also mein Kind, von dem Fluch, der unsere Familie getroffen hat und sie vielleicht sogar zerstören wird." flüsterte die todkranke Frau heiser. Kata zuckte bei dem Wort zusammen, war es ihr doch schon vorher so vorgekommen, als ob eine überirdische Macht ihr kleines Familienglück zu zerstören trachte, indem sie ihr die zärtliche Mutter und ihrem Vater die geliebte Frau nahm. Sie beugte sich weit hinunter, um auch die noch so leise gehauchten Worte ihrer Mutter verstehen zu können. Diese begann stockend und von immer neuen Hustenanfällen unterbrochen ihren Bericht.

"Kata, ich hoffe, du glaubst mir, wenn ich dir sage, daß unsere Familie vor langer Zeit von einer bösen, alten Frau verflucht worden ist. Sie war deine Urgroßmutter – meine Großmutter - und wollte nicht, daß ich deinen Vater zum Manne nähme. Du mußt nämlich wissen, daß ich aus einer Familie des kleinen Landadels stamme und daß die Ehe mit deinem Vater also eigentlich eine Mesalliance war. Aber die Liebe war größer als alle Hindernisse, die man uns in den Weg legte – und ich habe es nie bereut, deinem Vater in die Puszta gefolgt zu sein. Nun ergab es sich aber, daß meine Großmutter auf irgend eine geheimnisvolle Weise vom Datum und Ort unserer Trauung Kenntnis erlangte und dort genau in dem Moment ankam, als der Priester uns seinen Segen spendete. Sie war eine fürchterliche alte Frau und mit einigem Wissen über geheimnisvolle Naturkräfte begabt. Nach dem Segen rief sie also mit lauter, keifender Stimme, daß dieser Ehe kein Glück beschieden sein solle! Immer, wenn es ein besonders schweres Unwetter gäbe, würde das Unglück auch uns heimsuchen! Der Fluch aber könne nur mit der dritten Generation gebrochen werden, wenn ein frohes Ereignis, welches nicht von Menschen beeinflußt werden könne, bei einem besonders schweren Unwetter eintrete!" Kata erschauerte bei diesen Worten. War es wirklich der Fluch der Urgroßmutter, der ihre Mutter heute sterben ließ? Und würde auch ihr Leben von dem Fluch beeinflußt werden? Denn die dritte Generation – das wären erst ihre, Katas Kinder, die vielleicht, vielleicht den Fluch brechen könnten!

"Mutter, oh Mutter!" flehte sie. "Ihr könnt doch nicht an solche Dinge glauben?" Doch ihre Mutter nickte nur schwach mit dem Kopf und ihre Lippen formten ein:

"Hüte dich vor jedem Unwetter, mein Kind!" Dann fiel ihr Kopf kraftlos zur Seite und das junge Mädchen weinte laut auf:

"Mama! Verlaßt uns nicht!" Doch es war schon zu spät, sie war von ihnen gegangen. Kata flossen die Tränen der Trauer über ihr schönes, nun vom Gram gezeichnetes Gesicht und auch ihr Vater schämte sich nicht des Wassers, welches ihm aus den Augen floß. Der Priester sprach die Sterbesakramente und der Arzt zog sich rücksichtsvoll in den Flur zurück. Er konnte hier nichts mehr tun.

 

UNTER HIRTEN

 

 

Auf Kata kamen nun schwere Zeiten zu. Sie mußte nicht nur das kleine Haus und den dazugehörigen Wirtschaftshof verwalten sondern sich auch um ihren Vater kümmern, welchen der Verlust der geliebten Frau sehr mitgenommen hatte.

 

STURM UND TOD

 

Wieder einmal zog ein schweres Unwetter heran. Über der Puszta türmten sich dicke, schwarze Wolken himmelan und Blitze zuckten wie feurige Schlangen hernieder. Ein steifer Wind blies stetig aus einer Richtung, wirbelte Staub in großen Mengen vor sich her und drang Menschen und Tieren, die es wagten, sich in einer solchen Nacht im Freien aufzuhalten, in Augen und Nase. Die Pferdehirten hatten so, wie auch die Schafhirten und Rinderhirten, ihre Herden versammelt und versuchten nun, die aufgeregten Tiere beisammen zu halten. Die Pferde stampften und wieherten unruhig und nur die lange Hetzpeitsche ihrer Bewacher ließ sie nicht kopflos die Flucht ergreifen. Besser als jeder Mensch spürten die Tiere, daß hier ein außergewöhnlich schweres Unwetter im Anzug war, eines, wie es nur alle paar Jahre oder gar Jahrzehnte vorkommt. Plötzlich wurde es für einen Augenblick totenstill: Der Wind hatte aufgehört zu blasen, kein Donner grollte, kein Vogel zwitscherte und die Tiere standen still und wie gelähmt da – doch dann brach das Wetter mit aller Gewalt über sie herein! Der Wind steigerte sich zum Sturm, bald erreichte er sogar die zerstörerische Stärke eines Orkans. Gleichzeitig begann ein Wolkenbruch, ja eine wahre Sintflut – es regnete nicht sondern es schien so, als ob das Wasser eines riesigen, himmlischen Sees auf einmal über der Erde ausgeschüttet worden wäre. Blitze zuckten unaufhörlich zwischen den Wolken hin und her, immer mehr fanden aber auch ihren Weg auf die Erde und der Donner grollte ohne Unterlaß. Als einer der Blitze ganz in der Nähe der Herde einschlug und sogar die Hirten den Schwefelgeruch wahrnehmen konnten, da gab es kein Halten mehr für die Herde: In Panik stürmte das Leittier voran und alle anderen folgten! Den Hirten blieb nichts anderes übrig, als die wilde Hatz mitzumachen, um die Herde nicht aus den Augen zu verlieren. Lajos, Miklós und zwei Lehrbuben versuchten die kopflose Flucht der Herde zu kanalisieren und in eine bestimmte Richtung zu lenken, wo kein Hindernis den Pferden zum Verderben werden würde. So gelangten sie an ein kleines Wäldchen.

"Nehmt ihr die Herde von rechts, ich bleibe links!" rief Lajos durch den ohrenbetäubenden Lärm seinen Kollegen zu. Diese gaben ihm durch Handzeichen zu verstehen, daß sie ihn verstanden hatten. Lajos sah, daß einige der Pferde in den Wald laufen wollten, so zog er sein Reittier noch weiter nach links, um sie außerhalb des Waldes zu halten. Dabei mußte aber er seinen Weg unter den vordersten Bäumen wählen. Kaum war die Herde glücklich an dem Wäldchen vorbeigekommen, hatte auch Lajos nur noch ein paar Meter zurückzulegen, um die Bäume hinter sich zu lassen – da geschah es!

Ein greller Strahl zuckte vom Himmel und fuhr genau in den Baum, unter welchem der Pferdehirte sich befand. Es gab einen fürchterlichen Knall, welcher die Herde nur noch schneller davon stürmen ließ, damit schien das Wetter sich ausgetobt zu haben, denn der Himmel wurde wieder etwas heller, der Sturm und auch der Regen ließen nach. Die Hirten hatten in ihrer Sorge um die Herde noch nicht bemerkt, daß ihnen Lajos nicht mehr folgte. Jetzt beruhigten sich die Pferde etwas und ließen sich auch wieder geordnet leiten.

"Hast du Lajos nicht gesehen?" fragte nun Miklós einen der Lehrbuben, doch dieser schüttelte nur den Kopf.

"Das letzte Mal habe ich ihn gesehen, als er in das Wäldchen ritt!" meinte der Junge. "Er wird doch nicht.....?"

"Mein Gott!" entfuhr es Miklós, "Der letzte Blitz! Er muß im Wäldchen eingeschlagen sein! Ich reite sofort zurück und schaue nach, was mit Lajos geschehen ist! Ihr bewacht derweil die Herde!" Bei diesen Worten hatte er auch schon sein Pferd gewendet und galoppierte von einer unbestimmten Vorahnung getrieben zu dem kleinen Wäldchen zurück. Plötzlich stoppte sein Reittier mit einem ängstlichen Schnauben so abrupt, daß der geübte Reiter fast aus dem Sattel geschleudert wurde. Doch auch Miklós hatte schon die beiden leblosen Körper entdeckt. Im Tode vereint lagen Roß und Reiter unter dem vom Blitz zerborstenen Baum. Zutiefst erschüttert wendete sich Miklós ab – das war Hirtenschicksal! Immer wieder kam es vor, daß Hirten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit den Tod fanden. Sei es durch einen wild gewordenen Stier, den Hufschlag eines Pferdes, Blitzschlag oder gar den tödlichen Angriff eines Banditen, welcher es auf die Herde abgesehen hatte. Die rauhen Männer hatten dem Tod zu oft in die Augen sehen müssen und so wendete auch Miklós wieder sein Pferd, um den Kollegen Nachricht vom Tode eines der ihren zu bringen. Wenn die Herde wieder sicher auf ihren Weidegründen war, würden die Männer zurückkommen, um die sterblichen Reste des Hirten und seines treuen Reittieres zu bergen und ihm ein angemessenes Begräbnis an der Seite seiner geliebten Frau bereiten.

 
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