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"Wieviel Universitten gibt es in Deutschland und wieviel kostet eine Briefmarke?" fragte mein Chef, ein groer, dicker Mann, der sich gerne selbst als einen intelligenten Menschen betitelte.

"Ich habe mit den Hochschulen und Fachhochschulen so an die hundert Briefe zu je vierzig Forint gerechnet." antwortete ich. Bei einem Nettogewinn der Touristikabteilung von vier Millionen Forint, war dies eine lcherlich kleine Ausgabe.

"Das ist viel zu teuer! Das geht nicht!" bellte mein Chef mich an. "Und wer garantiert, da auch nur einer von diesen Studenten kommt? - Nein, der Plan ist nicht gut!"

"Aber Chef, wenn nur ein einziger Student kommt, dann sind alle Werbekosten wieder eingebracht!" versuchte ich, meinen Standpunkt zu rechtfertigen. "Und gerade Studenten reisen gerne, wenn das Angebot und der Preis stimmen!"

"Nein, zu teuer, abgelehnt!" war die Antwort meines Chefs - und damit war das Programm geplatzt. Ebenso erging es mir mit meiner, von vielen Reitern mitgetragenen, Bitte, doch Sattel- und Zaumzeug der Verleihpferde zu erneuern.

"Chef, ich habe mich schon bei einem Sattler nach seinen gnstigsten Preisen bei einem groen Auftrag erkundigt, wir kmen mit ungefhr hunderttausend Forint hin, alle Pferde htten neue Sttel und haltbare Lederhalfter mit Knebeltrensen. Damit wrden wir auch vermeiden, da wie bei dem letzten groen Rundritt geschehen, die Reiter ihre Pferde zwei Stunden lang an der Hand halten mssen, weil der Wagen mit den Stallhalftern und Stricken eine Panne hatte und nicht rechtzeitig am Etappenziel eintreffen konnte."

"Sie brauchen gar nicht erst zu fragen, das ist natrlich auch viel zu teuer! berhaupt hat Ihre Abteilung innerbetrieblich gesehen Minus gemacht!"

"Wie bitte???" mein Erstaunen war echt. Wie konnte ein Nettogewinn von mehreren Millionen pltzlich ein Minus ergeben.

"Ja, die Schafzucht war dieses Jahr sehr schlecht und auch an die Naturschutzabteilung ist einiges abgefhrt worden, den Rest haben die Sportreiter und -fahrer erhalten. Es ist also fr die Touristik nichts mehr da!" bemerkte mein Chef trocken.

"Aber die Pferde kommen mit handtellergroen Wunden auf dem Rcken von den Ritten zurck und auch die Reiter klagen ber Wundgerittensein. Wir knnen doch nicht Pferde kaputtmachen und Kunden vergraulen, nur weil innerbetrieblich unsere Einnahmen verschoben wurden?"

"Es ist nun einmal so geschehen, also habt ihr kein Geld mehr, also ist es unntz ber Investitionen zu reden!" brach der Chef das Gesprch ab und verschwand in seinem Zimmer.

Ich bernahm im Winter auch andere Aufgaben, etwa den Telexverkehr in Sachen Schilfhandel, auslndische Telefongesprche oder wurde als Dolmetscherin gebraucht, wenn der deutsche Techniker sich beim Installieren der neuen Schlachtanlage nicht verstndlich machen konnte oder die italienischen Pferdekufer Sonderwnsche hatten, die Farbe und Abzeichen eines Pferdes betreffend.

Von all den krummen Dingen, die im Staatsgut liefen, will ich nicht berichten, jedenfalls haben die Bosse den politischen Umschwung gut verkraftet und sind noch reicher geworden, als sie es in sozialistischen Zeiten waren.

Doch nun zurck zu meiner Arbeit, die mir sehr viel Freude machte, wenn sie auch manchmal mit Unbequemlichkeiten verbunden war. So kam einmal an einem schnen Sonntagmittag ein Auto vorgefahren und die Klingel wurde im Sturm bettigt. Ich rannte zur Tr, war meine kleine Tochter doch gerade erst eingeschlafen und mein Mann bei der Arbeit. Als ich ffnete, stand ein Angestellter des Gestts drauen.

"Hallo, Anne!" grte er. "Du mut sofort mit mir rauskommen, wir haben ein VIP-Programm mit auslndischen Ministern und der Chef will, da Du die Fhrung leitest!" Ich war erstaunt, denn solche Programme organisieren sich nicht in letzter Minute - mein Chef hatte also sehr wohl schon einige Tage vorher gewut, da diese Minister kommen werden - und ich lie dies den Mann mir gegenber spren.

"Sag dem Chef, da ich nicht kommen kann. Mein Mann arbeitet, mein Kind schlft - und ich bin nicht bereit, Fhrungen auerhalb meiner Arbeitszeit zu machen, wenn man mich fnf Minuten vor Beginn darber informiert, obwohl sie schon seit lngerem in der Chefetage bekannt sein drften." Der Mann schaute mich entsetzt an.

"Aber Anne, du kannst uns doch jetzt nicht im Stich lassen! Der Chef zhlt auf dich, er hat den Ministern schon angekndigt, da eine Deutsche die Fhrung leiten wird - sie waren hoch erfreut darber!"

"Ich bin keine Deutsche mehr!" warf ich ein, was auch stimmte, denn mit der freiwilligen Annahme der ungarischen Staatsbrgerschaft hatte ich meine deutsche Staatsbrgerschaft verloren. Worber ich nicht sehr traurig war, denn ich hatte mich immer mehr als Ungarin, denn als Deutsche gefhlt.

"Das sind doch alles nur Wortspielereien!" rgerte sich der Mann. "Komm, mach dich fertig, die Leute warten schon auf dich!" Jetzt wurde ich richtig bse.

"Und was ist mit der Kleinen? Soll ich sie vielleicht aus dem Schlaf reien und mitnehmen? Oder soll ich sie alleine hier im Haus lassen? Wo denkst du hin?" Er schien zu berlegen, dann kam ihm scheinbar ein Gedanke.

"Wir fahren auf dem Weg bei meiner Frau vorbei und setzen sie hier ab, da kann sie auf dein Kind aufpassen und du erscheinst noch rechtzeitig zur Fhrung." Bittend schaute er mich an. "Komm, sag ja!" Schweren Herzens stimmte ich seinem Plan zu, warf mich schnell in Schale, kletterte in das staubige, kleine Auto, das vor meiner Tr hielt und sprang zwei Straen weiter wieder heraus, um die Frau um ihre Hilfe zu bitten. Diese stimmte zum Glck auch gleich zu und wir setzten sie bei mir zu Hause ab. Dann ging es in schneller Fahrt in die Puszta. Dort wartete schon die "Staatskarosse", ein feuriges Vierergespann vor einem reprsentativen Wagen (keiner der sogenannten Pusztabusse) mit seiner noblen Fracht auf mein Kommen. Ich entschuldigte mich fr die kleine Versptung, erklrte auch ihre Grnde, die mit einem zustimmenden Murmeln angenommen wurden, dann ging es los. Natrlich hatte man "vergessen" mich darber zu unterrichten, da unsere Rundfahrt lnger als blich dauern wrde und die Herren das Abendessen mit Zigeunermusik in einem eigens dafr errichteten Bau in der Puszta einnehmen wrden. Das hie fr mich: keine Mglichkeit, rechtzeitig nach Hause zu kommen, ich mute so lange ausharren, bis die Herren genug hatten und zurck wollten. Zum Glck traf ich meinen Mann bei der Hirtenvorfhrung und bat ihn, sofort nach Ende seiner Arbeit nach Hause zu gehen und nicht erst, wie blich, sich mit seinen Kollegen im Fogad zu einem "Schlummertrunk" zu treffen. Ich selbst kam erst weit nach Mitternacht nach Hause, wobei einer der Herren noch auf die freundliche Idee kam, mich in seinem Auto mitzunehmen, sonst htte ich die drei Kilometer bis nach Hause laufen mssen.

So verging die Zeit. Als ein Nachtlokal im Reiterstbchen ffnete und die Debrecener Halbwelt dort Einzug hielt - als Touristenattraktion, selbstverstndlich! nderte sich mein Leben schlagartig. Mein Mann kam fast nur noch zum Umkleiden nach Hause, verbrachte die meiste Zeit mit seinen unverheirateten Kollegen in dem Klub, begann teure auslndische Zigaretten zu rauchen und Whiskey zu horrenden Preisen rundenweise zu bestellen. Als es mir gelang, von meinem sauer ersparten Geld ein altes Auto zu kaufen, durfte ich es noch nicht einmal fahren. Mein kleines Motorrad hatte mein Mann ja eh schon in Besitz genommen, mir blieb nur ein schon recht altersschwaches Fahrrad. Jetzt kam er eines Tages heim und verkndete, da er das Motorrad verkauft habe, es wrde ja sowieso nicht mehr gebraucht, jetzt, wo er das Auto benutzen wrde.

"Ich htte es aber sehr gerne benutzt!" wagte ich einzuwerfen.

"Wozu denn?" fragte mein Mann mich ganz erstaunt. "Du hast ja das Fahrrad - und fr zweimal Benzin reicht unser Geld eh nicht aus!"

"Es wrde reichen, wenn du nicht laufend die teuersten Zigaretten kaufen wrdest und sie dann auch noch verschenkst und wenn du weniger Whiskey trinken und spendieren wrdest!" war mein leiser Einwand. Doch da wurde er richtig wtend. Ich hatte zwar schon oft seinen Jhzorn gesehen, wenn er mit seinen Pferden arbeitete und sie schlug und schlecht behandelte, doch jetzt war ich sein Opfer. Er hob mit wutverzerrtem Gesicht seine riesige Hand, doch er schlug mich nicht. Aber seine Augen funkelten mir mit schierem Ha entgegen.

"Ich bin hier der Herr!" schrie er mir ins Gesicht. "Ich kann mein Geld ausgeben, wofr ich will! Schlielich handelt es sich um meine Freunde und Kollegen! Mit deinem Geld kannst du anfangen, was du willst - aber wage dich, ber mein Leben mitentscheiden zu wollen!"

"Mein ganzes Gehalt geht drauf fr Haushaltskosten und Benzin, was du verfhrst!" flsterte ich heiser. "Mir bleibt kein Pfennig zum Monatsende!"

"Das ist deine Sache, ich jedenfalls lebe, wie ich es fr richtig halte!" schlo er den Streit, lief aus dem Zimmer, knallte die Haustr hinter sich ins Schlo und kam erst am frhen Morgen, stockbetrunken, wieder. Angekleidet lie er sich aufs Bett fallen und schlief auch schon tief, zum Glck fr mich. So stand ich leise auf, weckte unsere Tochter und brachte sie in den Kindergarten, nachdem ich unsere Tiere versorgt hatte. Dann begann meine Arbeit.

In der nchsten Zeit geriet mein Mann immer mehr in den Bann der Nachtklubleute, erschien sehr oft nicht pnktlich zum Dienst, war oft betrunken und verlangte dann die sonderbarsten Dinge von mir, wenn er sich mir einmal in unserem Ehebett nhrte. Von Tag zu Tag wurde er mir fremder, doch litt ich still, um unserem Kind doch noch so etwas wie eine heile Familie vorzuspielen. Doch je grer sie wurde und auch gleichzeitig einfhlsamer, begann sie zu spren, da etwas nicht stimmte. Fast jeden Tag lief sie mit ausgestreckten rmchen ihrem Vater entgegen und bettelte darum, hochgenommen und gekt zu werden. Und jedes Mal las ich die tiefe Enttuschung in ihren schnen Kinderaugen, wenn ihr Vater sie nicht einmal zu beachten schien. Hatte er frher wenigstens fr mich einen Begrungs- oder Abschiedsku brig gehabt, so entfiel auch dies, wir lebten eigentlich nur noch nebeneinander her. Kind, Tiere und Arbeit, alles blieb an mir hngen. Gartenarbeit ist Frauenarbeit, also versuchte ich in meiner kurzen freien Zeit dem salzhaltigen Lehmboden einige Kpfe Salat, Zwiebeln, Mhren und sonstiges Grnzeug abzugewinnen. Decken streichen und Tapezieren ist Frauenarbeit, also stand ich auf einer wackeligen Leiter und weielte die Decken im Haus, verma, schnitt und klebte neue Tapeten und brachte Holzvertfelung an. Die Pflege der Tiere hatte ich schon seit langem bernommen, zuerst, wenn mein Mann einmal Abends und am darauffolgenden Morgen bei der Arbeit war, spter, da er nie regelmig oder zu bestimmten Zeiten oder auch nur nchtern heimkam, blieb die Ftterung der Schweine, Hhner, Enten, Gnse, Schafe, Ziege, Hunde und Katzen sowie die Reinigung ihrer Unterknfte gnzlich an mir hngen. Haben Sie schon einmal drei keifende Schweine von je 150 Kilo zu fttern versucht, die sich ihnen mit offenem Rachen entgegenstrzen? Ich hatte in der einen Hand den schweren Futtereimer, in der anderen einen dicken Knppel, mich vor ihren Zhnen zu schtzen. Doch auch so kam es noch oft genug vor, da ich den Inhalt des Eimers nicht vollstndig in den Trog schtten konnte oder einen Knuff von einer Schweineschnauze bekam. Aber blaue Flecken machen ja nichts! Und auch die Suberung des Schweinestalls oder der Hhnerunterkunft sind nicht gerade angenehm und auf jeden Fall Schwerarbeit. So stand ich Sommers wie Winters morgens um fnf Uhr auf, versorgte die Tiere, weckte das Kind, brachte es kurz vor sechs Uhr in den Kindergarten und begann dann meine Arbeit. Normalerweise beendete ich diese um fnf Uhr Abends, holte unsere Tochter aus dem Kindergarten, versorgte die Tiere, kochte Abendessen, schlachtete manchmal noch Hhner oder Gnse fr das Mittagessen am nchsten Tag und fiel gegen neun Uhr todmde ins Bett. Manchmal wurde ich dann brutal aus meinem ersten Tiefschlaf gerissen und mute meinem be- oder angetrunkenen Mann zu Willen sein, was oft zu einer wahren Vergewaltigung ausartete und mich am Ende in Trnen, vllig ausgelaugt und doch hellwach zurcklie, whrend mein Mann neben mir in tiefem Schlaf laut schnarchte.

Schlimm war es auch, wenn er sogenannte Freunde zu uns einlud. Das Fest artete jedesmal in ein wstes Gelage aus, bei dem immer einiges zu Bruch ging. Jedes auf dem Boden zersplitternde Glas brachte mir einen Stich im Herzen bei. Nicht nur, weil es so unntig war und auch noch Geld kostete, sondern weil meinem Mann scheinbar nichts heilig war oder einen auch noch so kleinen Wert besa, was ich mit in die Ehe gebracht hatte und das war - bis auf einige Kleidungsstcke von ihm - alles!

Eines Tages sollten die Pferdehirten und einige Springreiter auf eine Pferdemesse in Mnchen fahren. Mein Mann beschlo, unser - nein, SEIN - Auto zu benutzen, anstatt mit dem Gesttswagen zu fahren. Ich war gerade einmal im Bro, als der Telefonanruf einging: Nur etwa dreiig Kilometer von uns entfernt war er mit seinem Auto bei berhhter Geschwindigkeit - und Alkoholeinflu - aus einer Kurve getragen worden und einen Abhang hinuntergestrzt. zum Glck waren er und sein Mitfahrer unverletzt - das Auto aber war Schrott. Um den Zeitplan einzuhalten, der durch die polizeiliche Unfallaufnahme sowieso schon durcheinander geraten war, waren alle dann im Gesttsauto weitergefahren, an mir blieb es hngen, das Unfallauto abschleppen zu lassen und alle sonstigen, mit dem Unfall entstandenen Dinge zu klren. Am Telefon war der Chef gewesen, aber mein Mann htte mir ja wenigstens ein paar trstliche Worte ausrichten lassen knnen - nichts! Als ich dann das Auto sah, konnte ich mir nicht erklren, wie aus dieser zusammengeschobenen Masse Schrott zwei Menschen unversehrt hatten aussteigen knnen. Ich fhlte Erleichterung darber, da meinem Mann nichts geschehen war, hatte aber auch Wut im Herzen, ber seinen Leichtsinn, zu trinken, zu schnell zu fahren, obwohl ihm die Gefahr, die von dieser gewissen Kurve ausging, sehr wohl bekannt war und dachte, da nun, ohne Auto, er vielleicht wieder etwas huslicher werden wrde. - Weit gefehlt!

Als er von seinem Ausflug nach Mnchen zurckkam, berraschte er mich damit, da er einige Tage spter mit einem gebrauchten Auto vor der Tr stand.

"Schau ihn dir an, der ist noch besser, als der alte!" rief er mir zu, als ich auf den Motorenlrm hin in den Hof trat. Ich schttelte den Kopf.

"Wieso besser, als der alte? Wem gehrt denn dieses Auto?" fragte ich ihn. Seine Augen blitzten, als er mit seiner Hand liebevoll ber die Motorhaube strich.

"Das ist mein neues Auto!" bemerkte er einfach.

"Von was hast du den denn bezahlt?" wollte ich natrlich wissen, denn unser Konto war auf Null. Doch seine Reaktion zeigte mir wieder einmal, da ich zu unbedacht gesprochen hatte. Er fuhr blitzartig herum und sein Lcheln war verschwunden.

"Was geht das dich an?" zischte er leise und drohend. "Das ist mein Auto, und damit Basta!" Sein Gesichtsausdruck warnte mich, noch weitere diesbezgliche Fragen zu stellen, also lie ich es resigniert sein. Doch mein Vertrauen war zutiefst erschttert. Mit dem neuen Auto sah ich meinen Mann noch seltener, er schien weite nchtliche Ausflge damit zu unternehmen, denn schon bald begann er, von meinem Geld zu fordern, um Benzin kaufen zu knnen. Mir war langsam alles egal, ich gab es ihm und versuchte am Haushaltsgeld zu sparen. Aber wie wir im Winter die Gasrechnung fr Heizung bezahlen sollten, war mir ein Rtsel. Doch noch war Sommer und meine Arbeit lie mir nicht allzuviel Zeit, mir Gedanken ber unsere Zukunft zu machen. Manchmal trumte ich, wieder mit einem Pferd ber die Puszta reiten zu knnen, mein armes Tier fehlte mir sehr und ich wute, da mein Mann mir niemals erlauben wrde, wieder ein eigenes Reitpferd zu halten. Ich hatte ihn nur ein einziges Mal nach dem Tod meines Pferdes darum gebeten, mir doch ein Fohlen aus der Herde kaufen zu drfen.

"Ich glaube du spinnst!" hatte er mich angeschrien. "Weit du, wieviel das kostet? Und berhaupt - du hast ja gar keine Zeit, dich mit einem Pferd zu beschftigen, mit dem Kind, dem Haus und deiner Arbeit bist du voll ausgelastet! Auerdem gengt es, wenn einer in der Familie reitet. Fr ein Hobbiepferd ist da kein Platz!"

"Ich werde es schon schaffen, mich um noch ein weiteres Tier zu kmmern!" hatte ich eingeworfen. "Und reiten kann ich es ja zur Arbeit und Abends wieder zurck."

"Nichts kannst du oder wirst du tun!" keifte er zurck. "Zum Glck ist dieses komische Vieh von dir ja tot - jetzt reitet nur noch einer in der Familie - und das bin ich!" Damit war die Diskussion abgeschlossen - und mein Traum vom eigenen Pferd in der Puszta ausgetrumt!

An einem Herbsttag kam mein Mann wieder einmal nchtern nach Hause. Er begrte uns mit keinem Wort und begann, den Tiefkhlschrank, den wir erst vor wenigen Wochen erworben hatten, auszurumen.

"Lajos, was tust du da?" fragte ich ihn erstaunt ob seines Verhaltens. Er schaute mich verwundert an.

"Meine Schwester zieht jetzt mit ihrem neuen Lebensgefhrten zusammen und bekommt Zwillinge, da gebe ich ihr den Tiefkhlschrank, sie kann ihn besser gebrauchen, als wir."

"Ich finde es zwar schn, da du nach so langer Zeit wieder einmal an deine Schwester denkst," warf ich ein, "aber wir haben den Tiefkhlschrank gekauft, weil wir bald schlachten wollen und dann das Fleisch von zwei Schweinen irgendwo lagern mssen." gab ich zu bedenken, doch er machte nur eine vage Handbewegung.

"Wir werden das Fleisch eben ruchern und auch viele Wrste und Speck machen, da reicht das Tiefkhlfach vom Khlschrank aus." meinte mein Mann und packte weiter aus. Ich stand reglos daneben und schaute seinem Treiben wortlos zu. Als alles ausgerumt war, trug er den schweren Schrank alleine zum Auto - und war auch schon verschwunden. Ich sollte ihn erst zwei Tage spter wieder zu Gesicht bekommen. Inzwischen mute ich mich wieder mit der Eisenbahn behelfen, als ich nach Debrecen fahren mute. Im Auto nur eine halbe Stunde entfernt, bentigte ich bei den schlechten Bahnverbindungen fast den ganzen Tag fr eine Erledigung von ein paar Minuten. Aber daran war ich ja schon gewhnt! Als mein Mann wieder auftauchte, schien sich seine Laune ein wenig gebessert zu haben, ich schrieb dies dem Besuch bei der Schwester zu. Manchmal wirkte er direkt frhlich und schien auch weniger zu trinken. Neue Hoffnung fr ein besseres Familienleben keimte in mir auf - bis zu jenem schrecklichen Moment einige Tage spter. Es war Abend, ich hatte gerade das Essen gerichtet und wartete auf die Ankunft meines Mannes, die Kleine schlief schon friedlich in ihrem Zimmer, nachdem sie den ganzen Tag auf einem Kindergartenausflug gewesen war. Es wurde spter und spter und ich hatte gerade beschlossen, nicht mehr zu warten, sondern mit dem Essen zu beginnen, da mein Mann ja scheinbar wieder in seine alte Unart des endlosen Trinkens mit Freunden und Kollegen verfallen zu sein schien, als ich Schritte auf den Platten im Garten hrte. Dann ffnete sich die Haustr und aus dem Klang der Schritte und Gebrden entnahm ich, da mein Mann noch ziemlich nchtern sein mute. Ich lief in die Kche, um das Essen neu zu wrmen, als er im Flur an mir vorbei ging.

"Guten Abend, Lajos!" begrte ich ihn, wie blich, keine Antwort seinerseits erwartend. Natrlich blieb sie auch dieses Mal aus, was mich nicht weiter erstaunte. Ich brachte die dampfende Schssel auf den Etisch und rief: "Das Essen ist fertig!" Als ich auch hierauf keine Antwort erhielt, lief ich ins Schlafzimmer um zu sehen, was meinen Mann aufhalten knne. Er stand vor unserem Kleiderschrank, ein offener Koffer lag auf dem Bett. In diesem befanden sich schon einige Hemden und Hosen, in wirrer Unordnung nur so hineingeworfen. Ich stand wie erstarrt.

"Lajos, was machst du da?" flsterte ich heiser. Er schaute sich nicht einmal um, sondern fuhr fort, Socken und Unterwsche in den Koffer zu werfen. Ich hob meine Stimme, vielleicht hatte er mich das erste Mal nicht gehrt.

"Lajos, warum packst du?" Jetzt schien er sich meiner Anwesenheit bewut zu werden. Er schaute mich ber seine Schulter hinweg an, weiterhin Kleidungsstcke aus dem Schrank ziehend und in den Koffer werfend.

"Das siehst du doch!" war seine Antwort. "Ich ziehe aus!" Ein kalter Schauer ergriff mich und ich mute seine Worte erst in mir nachklingen lassen, um ihren vollen Sinn zu verstehen.

"Du verlt mich und unser Kind?" fuhr es aus mir heraus. "Warum?!" ich schrie es ihm entgegen. Doch er reagierte diesmal berhaupt nicht, seine Seelenruhe traf mich tiefer, als jeder Wutausbruch seinerseits es je getan hatte. Ich wute: es war ihm ernst, todernst!

"Ich habe jemanden kennengelernt, der es wert ist, geliebt zu werden!" meinte er trocken und ohne jede Emotion in der Stimme. "Ich hasse Frauen mit starkem Charakter, obwohl genau der dir helfen wird, bei den die bevorstehenden Prfungen!" Damit schlo er seinen Koffer, schaute sich noch einmal im Zimmer um, wie um sich zu vergewissern, da er nichts vergessen habe, hob den Koffer auf und schritt, ohne mich noch einmal anzublicken oder nach unserer Tochter zu fragen, aus dem Zimmer - und aus meinem Leben!

In meiner ersten berraschung kam mir nur ein Gedanke in den Sinn: "Er scherzt! Er treibt einen seiner subtilen Spe mit mir, damit er sich dann spter ber meine Fassungslosigkeit lustig machen kann oder um mir zu zeigen, wie sehr ich doch von ihm abhngig sei!" Ich begann, mich mit dem Gedanken zu trsten, da er bald schon wieder in der Tr erscheinen wrde, seinen Koffer in eine Ecke werfend und nach etwas zu Trinken suchen wrde. Doch mute ich zu meinem Entsetzen vernehmen, wie das Hoftor geschlossen wurde, eine Autotr knallte und der Motor angelassen wurde. Wie zum Hohn sprang er diesmal beim ersten Znden an. Reifen knirschten in der Stille der Nacht - dann war mein Mann weg! Noch immer wie betubt sagte ich mir, da er wohl trotz allem bald von sich hren lassen wrde - und sank von meinen widerstrebenden Gefhlen bermannt ins Bett, wo mich erst das schrille Luten des Weckers wieder zum Leben erweckte. Das war mir seit langem nicht mehr widerfahren, da ich lnger schlief, als die Weckzeit! Ich stand rasch auf, ging meinem gewhnlichen Tagwerk nach und verdrngte die Gedanken an meinen Mann auf sptere Zeiten. Erst als am nchsten Tag der Chef meines Mannes auftauchte und mich nach Lajos fragte, wurde mir klar, da hinter dem Verschwinden meines Mannes mehr steckte, als nur eine kurzzeitige Idee. es stellte sich heraus, da mein Mann schon seit Tagen nicht mehr zur Arbeit gegangen war, seine Kollegen hatten ihn jedoch nicht angeschwrzt, weil sie dachten, er habe nach einer Sauftour Zeit zum Nchternwerden bentigt. Ich konnte dem Chef auch nur das sagen, was ich wute, und das war weder viel noch hilfreich.

"Er sagte mir, er habe eine andere Frau und werde uns verlassen, aber ich dachte, es sei nur so einer seiner bsen Scherze gewesen!" begann ich und schilderte dann die letzten Minuten, die er in unserem Haus verbracht hatte. Der Chef schttelte den Kopf und konnte sich diese Handlungsweise nicht erklren, zumindest htten es Gesetz und Anstand verlangt, da er sich an seinem Arbeitsplatz abmeldete.

"Ich bedauere das Verhalten meines Mannes, hoffe aber, da er bald persnlich eine genaue Erklrung abgeben wird." meinte ich, "Zumindest werde ich Sie sofort informieren, sollte er sich bei mir melden!" versprach ich dem Chef, bevor ich wieder an meine Arbeit ging. Unsere Tochter hatte das Verschwinden ihres Vaters noch nicht so richtig begriffen, hatte sie ihn ja auch sonst nicht sehr oft zu Gesicht bekommen und auch in diesen seltenen Augenblicken hatte er sich nicht mit ihr beschftigen wollen. Sie vermite ihn also nicht sehr. Mir mifiel seine Abwesenheit jedoch immer mehr, er htte zumindest seinem Arbeitgeber gegenber mehr Loyalitt zeigen mssen, doch auch dieser blieb ohne Nachricht vom Verbleib meines Mannes. Nach ein paar Tagen entschlo ich mich zu einem gewagten Schritt: Da beide Eltern nicht mehr am Leben waren, hatte er vielleicht Zuflucht bei seiner Schwester gesucht. Ich bat also einen Bekannten, mich in seinem Auto zu meiner Schwgerin zu bringen - zumindest wrde ich meinen Tiefkhlschrank wieder mit nach Hause nehmen! Vor dem Wohnblock angekommen, bat ich meinen Bekannten, im Auto auf mich zu warten, falls mein Mann wirklich hier sei - vielleicht knnte ich ihn um unseres Kindes willen bewegen, sich die Sache doch noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich drckte auf den Knopf der Wechselsprechanlage. Nach einigem Warten erklang die Stimme meiner Schwgerin.

"Ja bitte!"

"Ich bin es!" rief ich in das Mikrofon, "Anne! Ist Lajos bei dir?" Mit klopfendem Herzen wartete ich auf ihre Antwort, hing von dieser doch so vieles ab. Doch was fr eine Enttuschung, als mich meine Schwgerin aufforderte, zu ihr zu kommen.

"Ich mu dir leider sagen, da mein Bruder nicht hier ist!" begrte sie mich an der Haustr. "Aber du kannst gerne eintreten, um dich zu berzeugen!" Sie mute also doch informiert sein, zumindest, was das Verschwinden ihres Bruders betraf. Sie begleitete mich in das winzige Wohnzimmer und ich lie mich auf dem Sofa nieder. Sie brachte mir ein wenig Limonade, dann setzte sie sich zu mir und umarmte mich fest.

"Arme Kleine," begann sie, "es mu sehr schwer fr dich sein! Sein Chef hat bei mir im Bro angerufen, um sich zu erkundigen, ob Lajos nicht bei mir ist, daher wei ich alles, aber ber die Hintergrnde bin ich nicht informiert, zumal mein Bruder seit eurem letzten Hiersein nicht wieder mit mir in Verbindung getreten ist." In meinem Unterbewutsein meldete sich ein kleiner Gedanke, den ich sofort in Worte fate:

"Aber vor einigen Wochen hat er dir doch unseren neuen Tiefkhlschrank gebracht, da du ihn mehr bentigen wrdest, als wir?!" wunderte ich mich. Ich sollte mich gleich noch mehr wundern, denn meine Schwgerin schttelte den Kopf.

"Aber Anne, was redest du denn da fr einen Unsinn! Ich habe nie darum gebeten, da er mir euren Tiefkhlschrank leiht, ja ich habe bis eben noch nicht einmal gewut, da ihr einen neuen gekauft habt!" Mit wurde beinahe schwarz vor den Augen: Alles Lge und Gemeinheit, was mir mein Mann vorgesetzt hatte! Wahrscheinlich hatte er schon damals den Gedanken an Flucht gehabt und diese gekonnt vorbereitet! Ich dankte meiner Schwgerin fr die Limonade, erhob mich schwerfllig vom Sofa und verabschiedete mich. Sie stand noch lange in der Trffnung und schaute mir nach, wie ich die elf Stockwerke auf der Treppe hinunterging - so blieb mir mehr Zeit zum Denken, als im Fahrstuhl. Mein Bekannter hatte ruhig im Auto gewartet, jetzt schenkte er mir einen schnellen Blick und vermied es dann, Fragen zu stellen. Er mute aus meinen Augen gelesen haben, da der Weg umsonst gewesen war und wollte meinen Schmerz nicht noch mit seiner Neugier vertiefen. Die Heimfahrt schien eine Unendlichkeit zu dauern, dann war auch sie berstanden. Erst jetzt, weit nach Mitternacht, berkamen mich meine Gedanken mit ihrer vollen Wucht! War er wirklich zu Ende, mein Traum? Wie sollte das Leben weitergehen? Welche Prfungen wrden noch auf mich zukommen? Und dann, ganz tief in mir drin der winzige Schimmer einer winzigen Hoffnung: Und wenn er doch eines schnen Tages zurckkommt?

Aber am nchsten Morgen nahmen mich meine tglichen Arbeiten wieder so voll in Anspruch, da die einsamen Gedanken der Nacht verdrngt wurden. An meinem Arbeitsplatz lie ich nichts verlauten, obwohl natrlich einige wuten, da mein Mann seit Tagen nicht mehr zur Arbeit gekommen war. Aber auch mir stellte keiner unbequeme Fragen, auf die ich ja doch keine Antwort gehabt htte. Ich war gerade im Schreibzimmer mit dem Absenden eines englischsprachigen Telex beschftigt, als ein Bekannter die Tr ffnete.

"Entschuldige, da ich stre, Anne, aber ich bin gerade an eurem Haus vorbeigefahren und habe Lajos gesehen, wie er verschiedene Sachen in sein Auto gepackt hat. Als ich anhalten wollte, ist er schnell davongefahren. Ich dachte mir, du solltest so schnell wie mglich davon erfahren." Bei seinen Worten war ich schon von meinem Stuhl aufgesprungen, hatte den Telex beendet und mir meine Jacke bergestreift.

"Vielen Dank, da du es mir gesagt hast!" rief ich ihm zu, bevor ich aus der Tr eilte. "Sag bitte meinem Chef, da ich in ein paar Minuten zurck bin!" Ich sah ihn noch zustimmend mit dem Kopf nicken, dann rannte ich die Treppe hinunter und die wenigen Schritte zum Haus, das nur einen Steinwurf vom Bro entfernt lag. Dort schien zuerst alles so, wie ich es am Morgen verlassen hatte, doch fiel mir auf, da die Garage nicht mehr mit dem Vorhngeschlo gesichert war. Ich fand es zerborsten am Boden. Mit einem flauen Gefhl im Magen ffnete ich und mute entsetzt feststellen, da meine gesamte Reitausrstung - Sattel, Zaumzeug und alles Zubehr - verschwunden war! Mir wurde ganz bel, wenn ich daran denken mute, wie es wohl im Haus selbst aussehen mge. Mein Erstaunen wuchs noch, als mich unser Hund nicht wie sonst begrte, wenn ich in den Garten trat, wo er seine Htte hatte - doch auch diese war leer und verlassen! Mir traten die Trnen in die Augen: Der junge Mischling war das Kind meiner Kuvasz-Hndin, die mir vor einiger Zeit gestohlen worden war, mit irgendeinem schwarzen Streuner. Er war riesengro, mit gelocktem, weichem schwarzen Fell, nur Nasenspitze, die Pfoten und der letzte Teil des Schwanzes waren wei. Er war so lieb und anhnglich, auerdem ein guter Wachhund - auer der Tochter und mir lie er nur noch meinen Mann an sich heran. Und dieser hatte wohl davon profitiert und ihn mitgenommen! Schluchzend lief ich ins Haus, um mir ein Bild vom Ausma des "Diebstahles" zu machen. Und gesetzlich war es ja noch nicht einmal das! Im Haus fehlte fast nichts, nur die Schatulle mit meinem Schmuck (nicht viel Wertvolles darunter, aber noch genug, um sich das Gehalt ein wenig aufzubessern, und einige Erbstcke, mehr Andenken, als materielle Werte). Sonst schien alles, bis auf einige Bilder und zwei Tpfe, an seinem Platz zu sein. Ich war wie am Boden zerstrt, doch meine Lebensgeister flsterten mir Hilfe zu. Ich nahm mein Fahrrad, das war mir zum Glck geblieben, radelte wie besessen zu dem kleinen Laden und kaufte alle Schlsser und Riegel, die vorrtig waren. Dann machte ich mich nach einem kurzen Besuch im Bro, um fr den Tag freizunehmen, daran alle Trschlsser auszutauschen und neue Vorhngeschlsser anzubringen. Dazu Riegel an die Fenster und Tren der Nebengebude, die auch mit Vorhngeschlssern gesichert wurden. Danach atmete ich wieder etwas freier, aber in mir war etwas zerbrochen. Es wurde mir klar, da ich mein Leben radikal wrde ndern mssen. Meine Hoffnung darauf, da mein Mann eines Tages wieder zu mir und unserer Tochter zurckkehren wrde, war durch diese seine Tat gestorben. Und getrennt leben kam bei seinem Verhalten gar nicht erst in Frage. Ich beschlo, einige Tage frei zu nehmen - mein Jahresurlaub war noch unangetastet - und mich mit der Regelung meiner privaten Probleme zu befassen. Zwar zgerte ich noch immer, die Dinge beim Namen zu nennen: Das Wort Scheidung existierte im Sprachgebrauch meiner Familie nicht, doch war es die einzige gangbare Lsung in meinem Fall.

Ich sprach schon am nchsten Tag bei einer Anwltin vor, die mich sehr sachlich und fachkundig beriet. Glcklicherweise war ich ungarische Staatsbrgerin, sonst htte der Vater das Kind zugesprochen erhalten und ich htte wieder in meine Heimat abreisen knnen. So konnte die Tochter mir als ungarischer Mutter zugesprochen werden. Einziger Problempunkt: unser Haus. Zum Zeitpunkt des Kaufs war ich noch Deutsche, konnte also nur mein Mann als Ungar Grund und Immobilie erwerben. Nach Erlangen der ungarischen Staatsbrgerschaft htte ich also beantragen mssen, da das Grundbuch gendert wird, dazu htte mein Mann aber seine Einwilligung geben mssen, was er nie getan htte. Aber meine Anwltin lie sich nicht beirren, sie lie mich die Bankberweisung seitens meiner Eltern fr das Haus bersetzten und lie sich auch die Einfuhrlisten meines Hausrates bergeben. So hatte sie berechtigte Hoffnung, beim Termin beweisen zu knnen, da Haus und Mobiliar einzig und allein mir gehrten.

Als viel greres Problem stellte sich heraus, da die Ladungen zu den Verhandlungsterminen nicht zugestellt werden konnten. Mein Mann hatte seinen einzigen angemeldeten Wohnsitz noch unter der Adresse unseres Hauses, er war auch bei seinem Arbeitgeber noch nicht abgemeldet und sonst nirgendwo angemeldet, zumindest nicht offiziell. Ich beschlo, ein wenig Detektiv zu spielen, schon um eventuell wieder in den Besitz der mir gestohlenen Sachen zu gelangen. Es dauerte auch gar nicht lange, bis ich in sorgfltig vorbereiteten Gesprchen mit seinen Freunden und Kollegen eine Adresse erfahren konnte, wo er sich wahrscheinlich aufhielt. Ich bat wieder meinen Bekannten, mich zu der angegebenen Wohnung zu fahren, wo zu meinem Erstaunen mir eine mir bekannte junge Frau ffnete. Sie schien ber mein Erscheinen nicht schlecht zu erschrecken, zumal hinter mir mein Bekannter seine imposante Gestalt zeigte.

"Ich bin gekommen, um die mir entwendeten Sachen abzuholen!" meinte ich trocken und in ihrer berraschung bergab sie mir einen Leinensack, in dem sich meine gesamte Reitausrstung befand und der noch im Gang lag.

"Ich htte auch gerne noch meinen Schmuck, meinen Hund und den Tiefkhlschrank, die Bilder und Tpfe kann er behalten, zumal er ja auch noch unser Auto mitgenommen hat!" meinte ich mit unbewegtem Gesichtsausdruck. Aber zu meiner Enttuschung schttelte sie den Kopf.

"Mit dem Schmuck hat er das Auto abbezahlt, vielleicht auch mit dem Tiefkhlschrank, denn den habe ich nie gesehen - und der Hund ist auch nicht hier." beschied sie mich. Dabei ffnete sie ein wenig die Tr, wie um mir zu zeigen, da sie die Wahrheit sprche. Ich verzichtete auf eine Durchsuchung der Wohnung, die wohl auch zu nichts gefhrt htte und fuhr zurck. Zwar hatte ich nur in Teilen Erfolg gehabt, zumindest konnte aber die Ladung zugestellt werden und dann mute er ber den Verbleib der anderen Sachen Auskunft geben.

Zum Termin erschien er Arm in Arm mit seiner Freundin, noch dazu einer Reiterin - mir hatte er noch nicht einmal erlaubt, mein eigenes Pferd zu reiten! Welch ein Hohn! Doch wurde sie gebeten, vor der Tr zu warten, da die Dinge, ber die hinter dieser Tr verhandelt werden wrde, sie nichts angingen.

"Aber sicher geht die Sache mich an!" rief sie aus, "schlielich wollen wir die Hlfte vom Haus und die Hlfte des Wertes allen Mobiliars - wie sollten wir sonst ein gemeinsames Leben beginnen?" fragte sie frech heraus. Mir blieben die Worte im Halse stecken - nie wrde ich ihn ausbezahlen knnen, ohne das Haus zu verlieren - und wo sollte ich dann mit dem Kind wohnen? Doch meine Anwltin wies die junge Frau zurecht und verweigerte ihr den Zutritt in den Saal. Nur ungern lie sie meinen Mann alleine eintreten, das sah man ihr an. Vielleicht befrchtete sie auch, da er nicht so beharrlich auf seinen Rechten bestehen wrde, wie sie.

Jetzt waren wir also nur noch zu fnft in dem riesigen Saal. Die beiden Parteien mit ihren Anwlten und die Richterin, eine Freundin meiner Anwltin. Schnell waren die Texte verlesen, die auf eine Scheidung im beiderseitigen Einvernehmen wegen totaler Zerrttung der Ehe pldierten, jetzt ging es nur noch darum, da die Tochter und der Besitz mir zugesprochen wurden. Bei der Frage, ob er Anspruch auf sein Recht als Erziehungsberechtigter erhebe, zuckte mein Mann nur die Achseln, wenn ich es wolle, so knne ich die Tochter alleine haben. Selbst als seine Anwltin ein Besuchsrecht erzwingen wollte, winkte er nur ab: keinen Bedarf! Trotzdem kam er so einfach nicht davon, ein Unterhaltsgeld von zehn Prozent seines Einkommens wurde fr das Kind festgesetzt. So einfach konnte er sich nicht um seine Sorgepflicht drcken!

Schlimmer ging es im Streit um das Haus, denn hier roch er Geld und sorgloses Leben! Aber die Richterin lie meine Beweise gelten, Haus und Mobiliar seien ausschlielich von mir eingebracht worden, stnden mir also zu, ohne da ihm eine Abfindung gezahlt werden msse. Sein langes Gesicht war sehenswert, schade da ich das seiner Freundin nicht sehen konnte, wenn er es ihr erzhlen wrde.

Auf meine Frage nach Auto, Schmuck, Hund und Khlschrank meinte die Richterin jedoch, da ich schon so viel erreicht habe, sollte ich ihm diese Dinge doch berlassen, zumal der Schmuck und der Tiefkhlschrank ja schon nicht mehr in seinem Besitz seien und ein Hund - na ja!

So fiel dann also ganz schnell das Urteil, beide Parteien akzeptierten die sofortige Rechtswirksamkeit, wir waren nicht mehr lnger Mann und Frau!

Lajos verlie gesenkten Hauptes den Saal, ich zgerte meinen Abgang noch hinaus, um dem Prchen nicht begegnen zu mssen. Meine Anwltin wnschte mir viel Glck, ich konnte es wirklich gebrauchen!

Nach all den Wochen der Aufregung und des Schmerzes berkam mich nun wirklich ein Gefhl der Freiheit. Fr meine Tochter - wirklich: MEINE Tochter! - wird es nicht allzu schwer werden, hat sie ja zuneigungsmig nie einen echten Vater besessen. Sicher, es wird immer wieder Situationen geben, wo ich ihr erklren mu, da Papa uns verlassen hat, aber mit ihren zweieinhalb Jahren wird sie noch keine Fragen nach dem Wieso und Warum stellen. Und spter - wer wei, was das Leben noch bringt!

Die Tage vergingen fast im gleichen Schema wie zuvor. Kind und Tiere, meine Arbeit, alles war beim Gleichen geblieben. Aber ich war ruhiger, ausgeglichener. Kein Warten mehr auf den Mann, der kommt - oder nicht, betrunken oder nchtern ist, Dinge von mir verlangt, die mich anwidern oder entsetzen. Unsere Teilfamilie lebte viel harmonischer als vorher. Unser Tagesablauf wurde geregelter und ausgefllt mit Lachen und Scherzen. Ich beschlo als erstes, mir wieder ein Pferd zuzulegen. Trotzdem wir nun von einem Gehalt leben muten, kam ich nun besser ber die Runden. Viel ging ja auch von meinem Gehalt noch ab fr Benzin und Alkohol und Zigaretten und andere Dinge, das knnen wir nun sparen und von seinem Gehalt habe ich ja sowieso nie einen Pfennig gesehen. Im Staatsgut stand ein riesengroer Fuchswallach billig zum Verkauf. Ein Gidran, also ein ungarischer Anglo-Araber, vormals als Springpferd gekauft, nach nur einem Jahr sauer und unreitbar. Dazu kommt er mit dem Pusztaboden nicht zurecht, er, der auf weichem Sandboden aufgewachsen ist. Ich konnte ihn zum Schlachtpreis erwerben. Jetzt stand endlich wieder ein Pferd in der schnell zum gerumigen Stall umfunktionierten Garage. Und ich hatte ein neues Fortbewegungsmittel: zwar nicht so schnell wie ein Auto, aber billiger in der Haltung und mich mit seiner Zuneigung belohnend, als ob er wte, wie sonst sein Schicksal ausgesehen htte. So brachte ich morgens meine Tochter per Pferd in den Kindergarten, ritt dann hinaus zu meinem Arbeitsplatz, stellte ihn in einen groen Pferch und holte ihn am Abend wieder ab. Schnell noch eine Runde ber die Puszta, dann auf zum Kindergarten und zu zweit auf dem langen Rcken nach Hause.

Ich hatte auch beschlossen, ein ungarisches Abitur abzulegen - man wei ja nie - und mein deutsches Abitur galt hier nicht viel. So lernte ich also whrend zweier Monate jeden Abend und jede Nacht ungarische Literatur und Geschichte. Ich mute den Stoff dreier Schuljahre komprimieren, um zum nchsten Datum meine Prfungen mit den anderen Schlern ablegen zu knnen. Aber das Bffeln lohnte sich: Ich hatte meinen ungarischen Abschlu in der Tasche!

Jetzt zum nchsten Wagnis. Die Jagd hatte mich schon immer fasziniert, war aber zuhause ein Tabuthema und spterhin whrend meiner Ehe unmglich, darber zu sprechen. Wenn schon reiten untersagt war, dann erst recht die Jagd - keine Beschftigung fr eine Frau!

Aber jetzt erst recht! Ich trat in die Jagdgesellschaft des Staatsgutes ein und bereitete mich auf meine Jgerprfung vor. Ein Kollege in der Jagdabteilung lieh mir Spezialliteratur, das Handbuch fr die Prfung besa ich bereits selbst. Ein Jahr lang fungierte ich als Treiber und Helfer, whrend die anderen jagten, schon dort fiel mir auf, wie undiszipliniert manche Jger waren. Es gab schon einige brenzlige Situationen. So regnete es pltzlich whrend eines Treibens auf Fasanen Schrotkugeln auf die Treiber und ich mute einen "Jger" sehen, der schnell auf einen wenige Meter vor ihm ber den Weg laufenden Fasan scho und ihn dann stolz bei den Fen an seinen Grtel schnallte! Auch wurde oft mit dem billigeren Skeet-Schrot auf Hasen geschossen, oder auf einen vermeintlichen Fuchs, rckwrts gegen die schon im Heimgehen begriffenen anderen Jger und Helfer, nachdem das Treiben schon lange abgeblasen worden war! Hufig auch das Einschneiden der Hasenohren nach dem Motto: "Das war aber meiner!"

Der schlimmste Vorfall, oder besser gesagt, der Vorfall, der die schlimmsten Folgen htte haben knnen ereignete sich, als wir auf einem Lastwagen mit Plane saen und von einem Revier in ein anderes fuhren. Die zwei schlimmsten Schtzen saen ganz hinten, hatten also einigermaen freie Sicht, dann kamen noch je drei Jger auf den Bnken an den Lngsseiten und zwei Treiber auf der kleinen Bank, die sich an die Fahrerkabine anlehnte. Pltzlich verlangsamte unser Fahrer sein Tempo wegen einiger Bodenwellen, als der eine Jger einen Fasanenhahn hinter einem Grasbschel ersphte. Blitzschnell legte er an und - bumm! Wir fuhren alle zusammen, keiner hatte so richtig bemerkt, was da am Ende der Bank vor sich ging. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Der Hahn war unversehrt und lief ruhigen Schrittes weiter. Da, ein zweites - bumm! Doch das Tier hatte einen guten Schutzengel, es blieb auch weiterhin ungetroffen. Da ri pltzlich der gegenber sitzende Jger seine Flinte hoch - krachbumm!! Der Fasan flog nun doch, von dem Lrm aufgeschreckt, davon aber wie sah es im Wagen aus! Der Jger, welcher zuletzt geschossen hatte, hatte das Gewehr des anderen Schtzen getroffen! Zum Glck war dieser selbst unverletzt geblieben, aber seine teure Flinte war hinber! ber den nun folgenden Wortwechsel mchte ich lieber schweigen, die Ausdrcke wren sowieso nicht zu bersetzten und auch nicht jugendfrei.

Ich beschftigte mich also mit meinen Bchern, hatte keine Zeit zum Schietraining, durfte ja auch selbst noch kein Gewehr fhren und beschrnkte mich so auf die Theorie.

Am Tag der Prfung war ich gut vorbereitet und optimistisch. Wir waren etwa zwanzig Bewerber, die meisten davon schon lter, ich war die einzige Frau. Zuerst kam die schriftliche Prfung, der eine mndliche folgen sollte und dann die Schieprfung, auf Tontauben mit Schrot und im Schiestand mit dem Kleinkalibergewehr. Die Fragen waren einfach und sehr leicht in der angegebenen Zeit zu beantworten. Ich sa ganz vorne und bemerkte, wie der Prfer hin und wieder zu mir schaute und sich ber die Menge der beschriebenen Seiten zu wundern schien. Die Uhr war noch lange nicht abgelaufen, als mir nichts mehr einfiel und ich meine engbeschriebenen Seiten ablieferte. Einige Prflinge blickten mit, wie mir schien, Entsetzen von ihren Bgen auf, wo sich nur wenige Stze, wenn berhaupt, fanden. Der Prfer schaute sich mein Werk an, nickte leicht und flsterte mir zu.

"Die mndliche Prfung ist ihnen erlassen! Ich habe noch nie so gute und ausfhrliche Antworten erhalten! Aber bleiben sie bitte noch im Raum, bis alle anderen Prflinge auch fertig sind." Ich nickte leicht und begann, mich in Gedanken schon auf die Schieprfung vorzubereiten. So fiel ich fast aus allen Wolken, als ein Prfling bei der mndlichen Fragestellung : Wo lebt der Feldhase? pltzlich mit dem Namen von Orten antwortete. Htte er gesagt: Auf dem Feld, htte er vielleicht noch eine Chance gehabt. Ein weiterer zhlte statt der jagdbaren Gnsearten alle geschtzten auf und meinte auf die Frage des Prfers:

"Sind sie sicher, da diese Gnse geschossen werden drfen?" nur stolz:

"Natrlich, ich habe sie alle schon erlegt!"

Am schlimmsten fand ich aber die Antwort eines lteren Mannes, der einen fast leeren Testbogen abgegeben hatte. Auf die Frage, ob er denn berhaupt etwas wisse, gab er selbstbewut zurck:

"Ich bin der Leiter einer groen landwirtschaftlichen Genossenschaft, ich habe keine Zeit, um mich auf die Jagdscheinprfung vorzubereiten!"

Und alle diese Menschen wurden trotzdem zum praktischen Teil der Prfung zugelassen! Ich fragte mich, wozu ich das alles gelernt hatte, wenn man auch ohne jegliches Wissen den Jagdschein bestehen konnte, dachte dann aber, da ich es ja fr mich tat und nicht fr andere und da man mir mein Wissen nicht mehr nehmen knne.

Auf der Fahrt zum Schiestand wurde mir dann etwas mulmig, hatte ich doch noch nie ein Gewehr in der Hand gehabt, die anderen, aus ihren selbstbewuten Reden zu schlieen, sehr wohl. Einer war sogar Bezirksmeister im Tontaubenschieen. Zuerst muten wir jeweils eine Schrotflinte in alle Einzelteile auseinandernehmen und zusammenbauen, dann sollten wir so viel wie mglich, mindestens jedoch fnf Tontauben von zwanzig treffen. Meine erste Serie von zehn Schssen erbrachte zehn Luftlcher, doch hatte ich in der zweiten Serie vier Treffer und einen umstrittenen, der zuletzt gutgegeben wurde. Der Meister holte natrlich neunzehn von zwanzig Tontauben herunter. Ich fragte mich, warum er nach den ersten fnf Treffern noch weiterschieen mute, sollte oder wollte. Beim Kleinkalibergewehr war meine Ausbeute gleich Null, bis die guten Leute darauf kamen, da ich viel zu niedrig stand und mir einen Holzkasten holten. Da schaffte ich dann die fnfzig Punkte auf fnfundzwanzig Meter leicht.

Als Jungjger verlie ich den Schiestand. Ich habe in meinem ganzen Leben bisher nur einige Tauben und zwei Fasanen geschossen, aber die Pirsch an sich, das Beobachten und Ansprechen des Wildes, das Kennenlernen seiner Lebensweise und der Reviere befriedigen mich mehr, als jeder Schu.

 
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